Nicht unbedingt naheliegend: „Basierend auf humanistischen Prinzipien versuchen wir, alle zu retten – nicht nur Stadtbewohner, sondern auch ihre Haustiere“, schreibt die Staatsbahn auf ihrer Webseite. „In den letzten Tagen hat Ukrzaliznycja mehr als 11.000 Tiere, hauptsächlich Katzen und Hunde, evakuiert.“ Die Staatsbahn bittet um Verständnis bei den Mitreisenden, „denn unsere Menschlichkeit wird in diesen schwierigen Zeiten besonders vom Umgang mit Tieren bestimmt.“
Auch Hund und Katze werden evakuiert
An einen normalen Bahnbetrieb wie zu Friedenszeiten ist derzeit nicht zu denken. Am 25. Februar vermeldete Ukrzaliznycja, russische Truppen hätten auf den Bahnhof in Kupjansk im Bezirk Charkiv geschossen. Dabei seien zwei Schaffner verletzt worden: „Ein Eisenbahner wurde am Bauch verletzt, ein anderer am Bein. Im Moment sind die Kollegen im städtischen Krankenhaus, der Zustand ist stabil.“
Am 26. Februar musste der Kiewer Hauptbahnhof zwischen etwa 20:50 und 21:50 den Betrieb einstellen, berichteten mehrere ukrainische Medien. “Derzeit ist die Stromversorgung des Bahnhofs wegen Beschuss in der Nähe des Bahnhofs unterbrochen. Passagiere und Personal wurden in den Bunker evakuiert”, erklärte Ukrzaliznycja. Am 27. Februar präsentierte das Bahnunternehmen eine Karte über das Funktionieren der Eisenbahnen im Land. Laut Karte sind die Bahnhöfe in Sumy geschlossen, und es gibt keine Verbindungen in die Region. Ähnlich ist die Situation in den Regionen Luhansk, Donezk und Cherson.
Bahnhof Kiev unter Beschuss, U-Bahn dient als Schutzraum
Am selben Tag wählten laut Ukrzaliznycja rund 600 Menschen den Hauptbahnhof als „Unterschlupf“: „Alle Warteräume sind für Personen geöffnet. Ukrzaliznycja versorgt die Menschen mit Wasser und Getränken, aber die Vorräte gehen zur Neige. Passagiere, die mit dem Zug aus anderen Städten über Kiew reisen, werden gebeten, Wasser und Lebensmittel zu transportieren. Wir bitten die Unternehmen auch, Wasser und Lebensmittel nach Möglichkeit an die Station zu liefern. Wichtig: Die Kapazität des Luftschutzbunkers der Station ist begrenzt, daher werden im Gefahrenfall Kinder, Frauen und ältere Menschen dorthin gelassen.“ Auch Teile des unterirdischen Systems der Kiewer Metro werden inzwischen als Schutzraum genutzt.
Intensiviert hat sich der Transport der Zivilbevölkerung zur Grenze der Ukraine mit westlichen Nachbarstaaten. Am 1. März berichtete die Staatsbahn, sie habe inzwischen über 750.000 Bürger*innen evakuiert. Ein einziger Zug habe schon bis zu 7.000 zivile Personen auf einmal transportiert. Evakuierungszüge könnten kostenlos genutzt werden, Züge zu Verbindungen innerhalb des Landes fänden „nach den allgemeinen Bedingungen“ statt, seien also weiterhin fahrkartenpflichtig. Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren werden derzeit wegen der allgemeinen Mobilmachung nicht über die Grenzen gelassen.
Züge nach Polen fahren über den Grenzpunkt Medyka/Przemyśl, vom Verkehrsknotenpunkt Čop geht es nach Záhony/Ungarn sowie in die Slowakei und nach Tschechien. Auch Rumänien wird als Reiseziel angeboten. Die polnischen Staatsunternehmen PKP Intercity und Polregio transportieren vor dem Krieg fliehende Ukrainer*innen kostenlos, ebenso die Deutsche Bahn. „Die DB steht in engem Austausch mit der Bundesregierung, dem BMDV und Behörden von Bund und Ländern sowie ihren Partnerbahnen in den Nachbarländern Polen, Tschechien und Österreich“, erklärte die DB.
Kostenlose Bahnfahrten für Flüchtlinge
„Gemeinsam mit der polnischen Eisenbahn bereitet sich die DB vor, gegebenenfalls zusätzliche benötigte Beförderungskapazitäten kurzfristig auf die Schiene zu bringen. Hierfür können in Kooperation mit der polnischen Staatsbahn zusätzliche Wagen und Sonderzüge eingesetzt werden.“ Ein kostenloses Beförderungsangebot hat zusammen mit der DB auch der deutsche Konkurrent Flixbus/Flixtrain gemacht. Die PKP hat eine Eilausschreibung ausgerufen, um abgestellte Personenwagen außerplanmäßig einer Revision zuzuführen und sie so für diese Sonderzüge nutzbar zu machen.
Polregio bietet Pendelzüge der Relationen Dorohusk – Lublin und Medyka/Przemyśl – Krakau an. Am 27. Februar erklärte der Präsident der polnischen Stadt Chełm Jakub Banaszek, wegen der großen Anzahl der Evakuierungszüge aus dem Ukrainischen Lviv (Lemberg) werde der Bahnhof von Chełm ab sofort als Grenzübergang fungieren. Auf dem Bahnhof beenden Züge aus der Ukraine ihren Kurs, und die Reisenden durchlaufen die Grenzkontrolle. Damit sei das Betreten des Bahnhofsbereichs vorerst nicht möglich, teilte Banaszek mit. Er forderte die Stadtbewohner*innen auf, nicht zu versuchen, den Bahnhof zu betreten. Flüchtlinge werden mit Lunchpaketen und Wasser versorgt, es gibt Dolmetscher. Das gesamte Gebiet wird von einer Polizeikette umstellt. Nach der Grenzkontrolle können die Flüchtlinge weiter ins polnische Landesinnere oder auch in andere EU-Länder reisen oder auch auf Wunsch in Chełm bleiben.
Die zur polnischen Staatsbahn PKP gehörende Firma CS Natura Tour informierte, dass sie die zehn durch sie verwalteten Urlaubs- und Erholungszentren in Polen den zuständigen Behörden für die Unterbringung von geflohenen Ukrainer*innen zur Verfügung stellt. Die Ukrainische Staatsbahn hingegen organisiert nach eigenen Angaben Annahmestellen für internationale humanitäre Hilfe in Przemyśl und Sławków (Polen). Vorrangige Ladungsarten sind Medikamente, Hygieneartikel, Dauernahrung, Kleidung, Wasser, Babyprodukte wie Nahrung und Windeln, Schlafsäcke und Matten.
Evakuierung als „trojanisches Pferd“?
Nach Angaben ukrainischer Stellen gab es auch Versuche russischer Einheiten, unter dem Vorwand humanitärer Evakuationen militärische Aktionen durchzuführen. So kämen in einer Stadt nahe Kiew aufgetauchte Autobusse von keiner offiziellen ukrainischen Stelle. Evakuationen der Zivilbevölkerung fänden nur per Bahn statt. Offenbar handle es sich um eine Diversionsaktion. Desorientierte Ukrainer*innen sollten in die angeblichen Evakuations-Busse steigen, in deren Windschatten dann russische Kriegstechnik nach Kiew eindringen könne.
Am 1. März gab es eine weitere Warnung vor „Fake-Evakuationen“. Die Staatsbahn schrieb auf ihrer Webseite: „Warnung! Gefälschte Informationen über Evakuierungszüge verbreiten sich im Netz! Insbesondere aus Odessa. Wichtig: Unser Unternehmen erstellt keine Listen von Personen, die mit der Bahn evakuiert werden. Geben Sie Ihre persönlichen Daten nicht an Fremde weiter. Glauben Sie nur verifizierten Informationen!“
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur