Beim ersten „Brücken-Gipfel“ des neu zugeschnittenen Ministeriums am 10.März 2022 gab es eine Bestandsaufnahme des Zustands der Straßenbrücken in Unterhaltungspflicht des Bundes. Minister Wissing stellte gemeinsam mit Doris Drescher, der Präsidentin des Fernstraßen-Bundesamtes, Stephan Krenz, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Autobahn GmbH des Bundes, und Prof. Markus Oeser, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), ein „Zukunftspaket leistungsfähige Autobahnbrücken“ vor.
Im Meinungsaustausch der Expert*innen aus Bauwirtschaft, Verwaltung, Ländern sowie Natur- und Umweltschutzverbänden wurde deutlich, so Minister Wissing: „Der Zustand, in dem ich die Infrastruktur bei Amtsübernahme vorgefunden habe, ist nicht zufriedenstellend.“ Stichpunkte der Lösung waren: Präziser die Risiken identifizieren, strategischeres Vorgehen, bei Priorisierung mit mehr Wissen, mehr Informationen vorgehen, pro Jahr die Zahl der zu erneuernden oder zu sanierenden Brücken verdoppeln – und das bei einer erheblichen Beschleunigung der Lösung.
Die umfassende Bestandsaufnahme des Zustands der Bundesbrücken war möglich, weil sich durch den Übergang der Verwaltung von den Ländern auf die BASt ein einheitlicher Blick auf die Thematik ergab. Im Bestand des Bundes befinden sich derzeit etwa 40.000 Straßenbrücken. Die Brückenbilanz zeigt, dass viele Brücken saniert und modernisiert werden müssen – vor allem im alten Westen Deutschlands. In den Regionen der ehemaligen DDR hatte es nach der deutschen Wiedervereinigung 1989 einen Investitionsschub gegeben, der sich auch in der Straßeninfrastruktur positiv auswirkte.
Benotung wie in der Schule
Bei Autobahnen liegt zumeist jede Fahrtrichtung auf einem eigenen Brückentragwerk. Große Flussbrücken werden in Strombrücken und Vorlandbrücken unterteilt. Deshalb ergibt sich insgesamt in Deutschland die Anzahl von 52.386 Brücken-Teilbauwerken. Gemessen an der Brückenfläche haben Spannbetonbrücken im Bereich der Bundesfernstraßen mit etwa 70 Prozent den größten Anteil am Bestand. 17 Prozent der Brücken wurden in Stahlbetonbauweise errichtet. Stahlbrücken und Stahlverbundbrücken sind mit jeweils 7 Prozent am Gesamtbestand vertreten. Andere Bauweisen wie Mauerwerkbrücken sind selten zu finden.
Wie soll festgelegt werden, welche der vielen Brücken als erste saniert werden? Regelmäßig werden die Brücken einer Brückenprüfung nach DIN 1076 unterzogen. Besonders geschulte und langjährig erfahrene Bauwerksprüfingenieure prüfen die Bauwerke auf Schäden, Verschleiß und Alterungserscheinungen. Alle sechs Jahre findet eine „Hauptprüfung“ und drei Jahre nach der Hauptprüfung eine „Einfache Prüfung“ statt, ergänzt durch jährliche „Besichtigungen“ und halbjährliche „Laufende Beobachtungen“. Die Bewertung des vorgefundenen Zustands erfolgt anhand der Kriterien Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Mit einem Prüfbericht und einer Zustandsnote wie in der Schule, aber mit Noten nur von 1,0 bis 4,0, wird der bauliche Zustand der Brücke in einem Bauwerksbuch dokumentiert und in einer Bauwerksdatenbank abgelegt.
Schlechtere Bauwerkszustände sind mit Zustandsnoten von drei und größer bewertet. Allerdings bedeutet eine ungenügende Zustandsnote von 3,5 nicht eine sofortige Sperrung des Tragwerks. Es gibt noch „Reserven“. Vielmehr wird Bedarf zum Handeln aufgezeigt. Die Zustandsnoten sind bewusst so angelegt, heißt es im Verkehrsministerium, dass bei der Ermittlung über alle Bauteile schlechtere Teilnoten durchschlagen. Dadurch sollen die Verwaltungen rechtzeitig die Möglichkeit haben, das Bauwerk instandzusetzen, bevor größere Schäden eintreten.
Neu: Bewertung durch Traglastindex
Ab sofort wird maßgeblich ein neues Kriterium entscheidend: der sogenannte Traglastindex. Er repräsentiert die strukturellen Eigenschaften eines Tragwerks, die maßgeblichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Brücke haben. Die Bewertung erfolgt in einem Soll-Ist-Vergleich. Auf der einen Seite steht die erforderliche beziehungsweise zukunftsfähige Brückentragfähigkeit. Dieses Ziellastniveau wird gemäß der vom Bund eingeführten Nachrechnungsrichtlinie festgelegt. Dem gegenüber steht die rechnerisch tatsächlich vorhandene Tragfähigkeit. Darüber hinaus werden noch bauart- oder materialbedingte Parameter berücksichtigt.
Die Bewertung erfolgt in fünf Stufen: I bis V. Mit aufwachsender Stufe nehmen die Abstände zum aktuellen Ziellastniveau zu: Stufe I = keine Abweichung, Stufe V = die meisten Abweichungen. Indirekt lassen sich aus der Stufung ebenfalls Dringlichkeiten ableiten. Die Stufe V umfasst demnach auch die dringlichsten Problemstellungen. Die Einordnung in die Indexstufe V muss noch nicht bedeuten, dass eine schnelle Brückensperrung erforderlich ist, betont das Ministerium. Es bedeutet aber, dass aufgrund der festgestellten Zahl an statisch relevanten Kriterien die vorhandenen Reserven der Brücke zunehmend aufgebraucht sein könnten. Hierdurch wird Handlungsbedarf aufgezeigt, der im Rahmen der Brückenmodernisierung abgearbeitet wird. Eventuell können belastungsmindernde verkehrliche Maßnahmen oder Beschränkungen notwendig werden, um die Restnutzungsdauer der Bauwerke zu verlängern.
Autobahnbrücken besonders belastet
Der bauliche Zustand der Brücken von Bundesstraßen ist tendenziell besser als jener von Autobahnbrücken. Zurückzuführen ist dieser Sachverhalt auf das deutlich geringere Güterverkehrsaufkommen. Auf Bundesstraßen gibt es allgemein geringere Fahrzeuggesamtgewichte auf den Bundesstraßen. Autobahnen sind deutlich schwerer beladen. Das führt insgesamt für die Autobahnbrücken zu einer permanent hohen Brückenauslastung mit allen negativen Konsequenzen, wie zum Beispiel beschleunigte Alterung und Verschleiß. Insbesondere hohe Achslasten setzen den Autobahnbrücken zu. Immer massivere Lastkraftwagen gelangen in den Verkehr, dazu kommen teilweise Überladungen oder falsche Beladungen der LKW.
„Faktisch fast alle Schäden an den Rheinbrücken sind Folge einer zu hohen örtlichen Belastung durch hohe Achslasten“, betont das Verkehrsministerium. „Von daher nehmen wir zukünftig nicht nur den baulichen Zustand der Brücken stärker in den Fokus, sondern werden auch Anstrengungen für eine engmaschigere Überwachung des Verkehrs unternehmen. Hinsichtlich der baulichen Zustände von Brücken fällt die Zustandsbewertung von Großbrücken (Brücken mit Längen größer 100 m) generell schlechter aus als jene von kleineren Brücken, weil sich statische Defizite und Schäden bei entsprechenden Brückenlängen aufsummieren.“
Brücken vor 1985: Eingeschränkte Tragfähigkeit
Wenn geschädigte Bauteile festgestellt werden und die Brücke nicht sofort gesperrt werden muss, werden die Brücken mittels eines sensorischen Brückenmonitorings kontinuierlich im 24/7-Dauerbetrieb überwacht. So ist es zum Beispiel bei den Rheinbrücken Leverkusen der A 1, Duisburg-Neuenkamp A 40 und der Rhein-Herne-Kanalbrücke A 43. Dadurch werden zusätzliche Informationen zum Brückenzustand oder spezielle Informationen zur Schadensentwicklung an ausgewählten Tragwerksstellen in Echtzeit gewonnen. Diese können dann in die Zustandsbewertung einspeist werden. Das Ministerium: „Die Verkehrssicherheit ist somit stets gewährleistet.“
Dem Anstieg der Verkehrsleistung steht bei den älteren Brücken oftmals eine eingeschränkte Tragfähigkeit gegenüber. Diese ergibt sich neben bauartspezifischen Defiziten vor allem aus den damaligen normativ geforderten Brückentragfähigkeiten. Die Brückentragfähigkeit wird anhand der Brückenstatik festgelegt, indem entsprechende normative Verkehrslastmodelle bei der Dimensionierung der Tragwerke berücksichtigt werden. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Steigerung ergeben. Folglich sind ausgewiesene Brückentragfähigkeiten an jeweilige Normungsstände gebunden.
Brücken älterer Jahrgänge vor 1985 sind für deutlich geringere Verkehrslasten ausgelegt worden. Immerhin zählen zu dieser Gruppe über 50 Prozent der Bestandsbrücken an Bundesfernstraßen. Diese Bauwerke werden in den nächsten Jahren zu modernisieren sein.
Moderne Brücken, leistungsfähige Infrastruktur
„Wir denken übergreifend und legen im Autobahn-Netz bestimmte Korridore fest, die für den Gesamtverkehr in Deutschland besonders wichtig sind“, erklärte Verkehrsminister Wissing beim Abschluss des Brückengipfels. „Dabei handelt es sich um bedeutsame, überwiegend hochbelastete Transitstrecken im Autobahn-Netz mit einer Gesamtlänge von etwa 7000 Kilometern. Dieses Streckennetz nennen wir Brückenmodernisierungsnetz und werden es vordringlich angehen.“
Innerhalb dieses Autobahn-Netzes wurden etwa 4000 Brückenbauwerke ermittelt, die modernisierungsbedürftig sind. Davon sind allerdings, Stand heute, bereits 1300 Bauwerke in Bearbeitung. Es geht also noch um etwa 2700 Bauwerke, die in erster Priorität neu saniert werden müssen. Besonders dringliche einzelne Autobahnbrücken außerhalb dieses Netzes werden nicht vernachlässigt und bei Bedarf ebenfalls bearbeitet – was auch für die Brücken der Bundesstraßen gilt. Minister Wissing: „Auf diese Weise haben wir erstmals eine Netzstrategie, die das gesamte Bundesfernstraßennetz auf einmal in den Blick nimmt und die alle Brücken berücksichtigt – egal, ob groß oder klein.“
Der Bund stellt die erforderlichen finanziellen Erhaltungsmittel für die Bundesautobahnen zur Verfügung. Von derzeit rund 4,5 Milliarden Euro pro Jahr ist eine schrittweise Erhöhung auf 5,7 Milliarden Euro im Jahr 2026 angestrebt, wovon ab 2026 ca. 2,5 Milliarden Euro in die Modernisierung von Brücken fließen soll. Das ist eine Steigerung um eine Milliarde Euro gegenüber heute. Für mehr Planungssicherheit soll mit der Autobahn GmbH des Bundes erstmals eine überjährige Finanzierungsvereinbarung geschlossen werden.
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur