Anlass für die Dialogfreude der österreichischen Bahnwerkenden sind die stockenden Verhandlungen mit den Arbeitgebern über einen neuen Lohn- und Gehaltstarif, den Kollektiv-Vertrag (KV). Auf Plakaten erklärte die Dienstleistungsgewerkschaft vida: „Wir können mit den Gehaltsverhandlungen nicht bis Dezember warten, denn viele sind jetzt schon pleite. Die Löhne in den Eisenbahnberufen müssen rauf, denn die Beschäftigten müssen mit ihren Einkommen gut auskommen und leben können.“
Ein 40-Stunden-Job für 1.356 Euro netto im Nachtzug sei insbesondere angesichts der hohen Teuerung “eindeutig nicht mehr rechtfertigbar“, betonte die stellvertretende Vida-Vorsitzende Olivia Janisch, die auch Mitglied des Vida-Verhandlungsteams ist. “Mit elf Prozent wurde im Oktober der höchste Inflationswert seit 70 Jahren gemessen – unser Ziel ist es, dass die Beschäftigten nicht ärmer werden und sich dasselbe Leben wie vor einem Jahr leisten können.”
Die Gewerkschaft vida fordert deshalb aufgrund der explodierenden Teuerung 500 Euro für jeden Mitarbeitenden der Eisenbahn auf alle KV- und Ist-Gehälter, 250 Euro auf die Lehrlingseinkommen sowie die Erhöhung der valorisierbaren Nebengebühren um die rollierende Inflation. |
Das bisherige Angebot der Arbeitgeber, eine Lohnerhöhung im sieben Prozent, lehnten die Gewerkschaften als „nicht ernst zu nehmen“ ab. Die Arbeitgeber wollen erst am 10. November wieder zu einer weiteren Verhandlungsrunde zusammenkommen. In der Zwischenzeit wird der Konflikt auch für die Bahnreisenden spürbar werden. Denn jetzt läuft bei den Gewerkschafter*innen ein Versammlungsmarathon.
Betriebsversammlungen zum Thema Lohnverhandlungen sind legal. Doch wenn sie en masse über mehrere Tage im gesamten Land stattfinden, ist das Ergebnis ähnlich wie bei einem Streik: Die Arbeiter arbeiten nicht – und Züge werden ausfallen. Bei den Versammlungen sollen die Belegschaften über den Stand der Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern informiert werden. Ob es dann womöglich tatsächlich noch zu einem Eisenbahnerstreik kommen könnte, das heißt, ob die Beschäftigten zu einer eventuellen Teilnahme an gewerkschaftlichen Maßnahmen bereit wären, wird dabei gleich mit geklärt werden.
Los geht es mit den Betriebsversammlungen am Mittwoch, 2. November, in den Eisenbahnbetrieben in Vorarlberg und in Tirol. Am 3. November geht es in Kärnten und in der Steiermark weiter. Am Freitag, 4. November, folgen die Versammlungen in Salzburg und Oberösterreich. In der Ostregion – Burgenland, Niederösterreich, Wien – werden die finalen Betriebsversammlungen am Montag, 7. November, stattfinden.
Insgesamt werden an diesen vier Tagen in den Eisenbahnbetrieben über 100 Betriebsversammlungen stattfinden. Jede dieser Versammlungen wird etwa eineinhalb Stunden andauern. In Tirol, Vorarlberg, in der Steiermark und in Kärnten, also am Mittwoch respektive Donnerstag, werden die allermeisten Versammlungen in der Zeit von 13 bis 14:30 Uhr abgehalten, in Oberösterreich und Salzburg (Freitag) von 9:30 bis 11 Uhr. In Wien, Niederösterreich und im Burgenland (Montag) werden die allermeisten Eisenbahnbelegschaften im Zeitraum von 13 bis 14:30 Uhr über den Stand der KV-Verhandlungen informiert werden.
Vida- KV-Verhandlungsführer Gewerkschafter Gerhard Tauchner warnt schon mal prophylaktisch. „Die Betriebsversammlungen im Eisenbahnsektor wurden im Hinblick auf die Zeiten unter großer Bedachtnahme auf die Bedürfnisse der Fahrgäste einberufen. Mit Beeinträchtigungen im Zugverkehr ist jedoch zu rechnen bzw. können diese an den jeweiligen Versammlungstagen nicht ausgeschlossen werden“, erklärt der stellvertretende Vorsitzender vida-Fachbereich Eisenbahn. „Es hängt davon ab, wie stark die Beschäftigten von ihrem Recht auf Teilnahme an den Betriebsversammlungen Gebrauch machen.“
Auch außerhalb der Eisenbahn ist es in Österreichs Wirtschaftswelt derzeit unruhig. Denn es werden zur gleichen Zeit neue Kollektivverträge für die Branchen Sozialwirtschaft, Handel und Metall verhandelt.
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur