Auf der Messe wurde auch ein Traktor exponiert. Er erinnerte daran: Auch die Landwirtschaft braucht Mobilität, braucht Arbeits- und Lastenfahrzeuge. Der ausgestellte Traktor vom Typ A2KS hat 15 PS. Er wurde durch die kleinere deutsche Fabrik Güldner gebaut, die zwischen 1935 und 1969 etwa 100.000 Traktoren herstellte. Güldner gehört zum Unternehmen Linde. 1955 hatte Güldner erstmals hydrostatische Elemente als technische Neuerung vorgestellt. Diese Erfindung trug später maßgeblich zum Erfolg der Linde-Stapler bei. Man sieht: Auch Technik für die Logistik hat viele Quellen – sogar die Landwirtschaft.
Im Rahmen der Grünen Woche trafen sich etwa 2.000 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zum 15. Global Forum for Food and Agriculture – Globalen Forum für Lebensmittel und Landwirtschaft -, abgekürzt GFFA. Es gab auch verschiedene Sonderschauen.
Doch die Grüne Woche ist vor allem eine Massenveranstaltung, bei der die ausgestellten, oft exotischen Speisen und Getränke direkt vor Ort konsumiert werden. In zehn Tagen kamen rund 300.000 Gäste auf das Berliner Messegelände, gaben pro Kopf etwa 130 Euro für den Verzehr vor Ort beziehungsweise für den Kauf von Waren aus. Vielleicht ersetzte die Messe manchen Besuchern den Urlaub, den sie sich wegen der allgemeinen Preissteigerungen in diesem Jahr eher nicht leisten werden?
Die Tschechische Republik förderte auf der Grünen Woche den Auftritt der staatlichen Brauerei Budvar-Budweiser („Original“) sowie einiger Privatbrauereien wie Ferdinand (www.budvar.cz , www.pivovarferdinand.cz ). Der tschechische Pavillon war als Dorfgasthof eingerichtet und war ständig überlaufen. Er bot kulinarische Köstlichkeiten wie Gulasch mit Knödeln und eine hinreißende Volksmusik-Kapelle, die Gruppe „Cimbálová Muzika Hudci z Kyjova“.
Nicht zuletzt für den Tourismus ist der Ruf Tschechiens als großes Land der Biertradition wichtig. Doch viele bekannte Brauereien und Biermarken sind längst in ausländischer Hand: Pilsner Urquell aus Pilsen, der „Erfinder“ des Pils; Gambrinus; Radegast – Asahi, Japan; Staropramen – Molson Coors, USA; Krušovice, Zlatopramen, Březňák – Heinecken, Niederlande; Lobkowitz Group – CEFC, VR China sind Beispiele dafür. Da ist es schon eine patriotische Großtat, wenn die Eigentümer der Brauerei Ferdinand verkünden: Wir verkaufen unser Unternehmen nicht, weder an Chinesen noch an andere Ausländer.
Interessant: Die Brauerei Budvar sucht in letzter Zeit den Schulterschluss mit kleinen privaten Mikrobrauereien. Mit sogenanntem „Kollaborations-Sud“ unterstützt der staatliche Potentat die heimische Craftbier-Szene: ein tschechisches Musterbeispiel für den gelungenen Spagat zwischen Tradition und Moderne.
Auch der „Staatliche Landwirtschaftliche Interventionsfonds“ SZIF der Tschechischen Republik unterstützte auf der Grünen Woche tschechische Unternehmen verschiedener Branchen (www.szif.cz ). Schwedische Aussteller förderte das „Schwedische Zentralamt für Landwirtschaft“ (www.visitsweden.de/ ). Polen war durch eine im April 2022 neugebildete staatliche Unternehmung vertreten, die „Landes-Lebensmittelgruppe“, Krajowa Grupa Spożywcza.
Bei der Gründung hatte der stellvertretende polnische Landwirtschafts-Minister Andrzej Śliwka erklärt: Die neue Gruppe dient der Ernährungssicherheit und der Ernährungssouveränität. Es gelte, „das polnische Dorf und die polnischen Landwirte von der spekulativen Natur der Aktivitäten einiger ausländischer Organisationen“ zu befreien. Die Gruppe produziert und vertreibt unter anderem Zucker, Obst, Gemüse und verarbeitete Produkte wie Ketchup. (b2b@kgssa.pl )
Eine ungewohnte und wenig bekannte Vielfalt bot der Messestand „Pierniki Wrocławskie“ – Breslauer Pfefferkuchen. Da gab es „Schlesische Bauernbissen“ zu entdecken, Pfefferkuchen mit Buttermilch und Dill. Neisser Konfekt, Lessing-Pfefferkuchen, die „Liegnitzer Bombe“, „Schweidnitzer Bolkobissen“, der „Waldenburger Kohleklotz“ („Węgielek Wałbrzyski“) – wer hätte gedacht, dass Pfefferkuchen nicht nur in den deutschen Städten Nürnberg und Aachen sowie im polnischen Toruń ihre Tradition haben, sondern auch in Niederschlesien. (sklep@piernikiwroclawskie.pl )
Aus dem polnischen schlesischen Eulengebirge stellte die Bielawa Getränke-Manufaktur – Bielawska Wytwórnia Napojów – aus. Gestiegene Transportkosten versucht sie dadurch aufzufangen, dass sie ihre Waren Transporten anderer Firmen als Beigabe mitgibt. In ihrer näheren Region liefert die Manufaktur auch selber aus. (www.sowie.com.pl )
Lecker und nicht zu süß schmeckte das März-Bier „Sowie“ (Eule) des Unternehmens – ein gelungenes Produkt! Interessant ist auch das dunkle, nicht-alkoholische Getränk namens „Młody Buk“ (Junge Buche). Dabei handelt es sich um Kwas – ein Produkt der Gärung von Brot. In Osteuropa und im Baltikum, teilweise auch in Südosteuropa ist das Getränk derart populär, dass es im Sommer auf der Straße aus Tankwagen verkauft wird. Vielleicht wird es jetzt dank der schlesischen Getränke-Manufaktur auch im Westen populär?
Ohne staatliche Unterstützung stellte das Familienunternehmen Ellas aus dem nordfriesischen Bredstedt kroatische Waren aus (www.shop-ellas.de ). „Wir nehmen jede Bezahlung an“, lachte im Gespräch mit rail & mobility Inhaber Toni Celjak. „Aber klar, die Übernahme des Euro durch Kroatien zum 1. Januar 2023 erleichtert uns die Abrechnung. Allerdings ist zu befürchten, dass einiges jetzt in Kroatien teurer wird, weil manche Händler bei der Währungsumstellung Mitnahmeeffekte erzielen wollen.“
Zu den Spezialitäten aus Kroatien zählen exklusives Olivenöl der
Marke Bilaja, köstlich cremiger Hirtenkäse sowie Weine und Obstliköre (unter anderem der bekannte Birnen-Likör Kruškovac) des landwirtschaftlichen Familienbetriebs OPG Marević. Eine feine Geste: Familien-Betriebe müssen zusammenhalten! Celjak hatte zunächst einen kleinen Verkaufswagen unter dem Namen „Hellas“ betrieben. Doch ein Konkurrent hatte ihm den Namen verboten. Jetzt ist Celjak froh darüber. Unter dem Motto „Ellas-Schmeck die Sonne“ kann er Köstlichkeiten nicht nur aus Griechenland verkaufen, sondern auch aus Italien oder eben Kroatien. Der Online-Shop wird ausgebaut, inzwischen bedient er mit einem großen Verkaufs-Truck immer mehr Wochenmärkte in Norddeutschland. Auch solche schönen Erfolgsgeschichten kann man auf der Grünen Woche kennenlernen.
Ellas fährt mit Spezialitäten auf die Dörfer. Der Einzelhandelskonzern REWE und die Deutsche Bahn zeigten auf der Grünen Woche, wie sie gemeinsam ein Grundangebot an Lebensmitteln vertreiben wollen (www.supermarktzug.de ). Zwar ist Deutschland insgesamt ein wohlhabendes Land. Doch in ländlichen Gegenden gibt es oft kein Lebensmittel-Geschäft – es lohnt sich nicht.
Deshalb standen auf dem Freigelände der Grünen Woche mehrere Eisenbahnwagen und eine Lokomotive. Mit dem Zug zur Ernte auf das Feld? Nicht ganz. 2021 hatten die Deutsche Bahn und der Lebensmittel-Einzelhandelskonzern REWE gemeinsam einen „Supermarkt-Zug“ auf die Schiene gesetzt. Die Lokomotive für dieses Projekt wie auch die Wagen wurden durch den privaten Eigentümer GfF – Gesellschaft für Fahrzeugtechnik mbH für das Projekt vermietet. Als Fahrtoperator tritt die befreundete Gesellschaft GfE auf.
Ausgestellt wurden ein Barwagen und ein Konferenzwagen. Doch der wichtigste Bahnwagen war ein umgebauter Supermarkt. Erstaunlich, wie viele Lebensmittel in einen Zugwaggon passen! Der Supermarkt-Zug hielt 2021 an verschiedenen Bahnhöfen im Bundesland Hessen. Dort konnten Personen einkaufen, die aus dem ländlichen Gebiet in die Stadt zur Arbeit kommen und bei sich zu Hause keinen Supermarkt haben.
Ab März 2023 kommt jetzt in Hessen das Folgeprojekt – der Supermarkt-Bus. Dazu wurde ein 18 Meter langer Gelenkbus zu einem mobilen Lebensmittel-Geschäft umgebaut. Darin haben 700 unterschiedliche Artikel Platz. Es gibt frisches Obst und Gemüse, Kühlfächer und sogar Tiefkühlware. „Alle Artikel werden zu den regulären Preisen verkauft, wie sie auch in einem normalen Markt wären“, erklärte gegenüber rail & mobility Arndt Hecker von DB Regio Bus.
„Der Bus wird täglich halten in etwa 13 Orten und Gemeinden, die um die 100 Einwohner oder auch mal bis zu 500 Einwohner haben. Auf jeden Fall müsste man dort ohne unseren Bus jedes Mal ein Auto nehmen, um zum nächsten Markt zu kommen. Diese Fahrten sollen durch unser Angebot vermieden werden.“ Zunächst wird das Projekt über zwei Jahre hinweg laufen. Eine interessante Möglichkeit, um die Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land anzugleichen.
Die nächste Grüne Woche findet in Berlin vom 19. bis 28. Januar 2024 statt.
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur