Deutschland: Bahn-Gewerkschaft GDL streikt, DB klagt und lockt

Deutschland: Bahn-Gewerkschaft GDL streikt, DB klagt und lockt

Deutschland: Bahn-Gewerkschaft GDL streikt, DB klagt und lockt

Immer wieder belastend: Auch nach Streik-Ende rollt der normale Bahnverkehr erst mit Verzögerung an. Foto: Hermann Schmidtendorf
Am Abend des 9. Januar 2024 lehnte das Hessische Landesarbeitsgericht einen Antrag der Deutschen Bahn auf eine Einstweilige Verfügung ab. Das bedeutet: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL darf wie geplant ab Mittwoch 2 Uhr bis Freitag 18 Uhr streiken. Im Güterverkehr begann sie den Streik bereits am Dienstag um 18 Uhr.

Die Deutsche Bahn hat einen Ersatzfahrplan erarbeitet. Fahrgäste können sich über eine kostenlose Rufnummer (08000 996633) informieren. “Wie auch schon in den vergangenen Streiks werden wir 20 Prozent unserer Fernverkehrszüge fahren können”, sagte DB-Konzernsprecherin Anja Bröker in Berlin. Den Fernverkehr organisiert die DB eigenverantwortlich, Einnahmen gehen also direkt in ihre Bilanz ein. Dabei greift die DB vor allem auf Lokführer*innen zurück, die nicht in der GDL organisiert sind beziehungsweise nach alten Anstellungsverträgen im Beamtenverhältnis stehen.

Im Dezember hatte die Gewerkschaft ihre Mitglieder per Urabstimmung über unbefristete Streiks abstimmen lassen. Rund 97 Prozent der teilnehmenden Mitglieder sprachen sich dafür aus. GDL-Chef Claus Weselsky hatte erklärt, Streiks seien jetzt über bis zu fünf Tage am Stück zu erwarten. Bislang dauerten zwei Warnstreiks der GDL im aktuellen Tarifkonflikt jeweils 24 Stunden. Doch auch das brachte massive Beeinträchtigungen. Der Verfasser dieser Zeilen konnte beim letzten GDL-Warnstreik am 8. Dezember 2023 nicht von Hamburg nach Berlin fahren, obwohl der gewünschte ICE-Zug erst nach Streik-Ende abfahren sollte. Bei der DB hieß es, Fahrpersonal der Hamburger DB wohne teilweise im Umfeld von Hamburg bis nach Lübeck, komme deshalb mit DB-Regionalzügen zum Dienst, und diese Regionalzüge seien wegen des Streiks ja auch ausgefallen.

Die GDL fordert einen neuen Tarifvertrag mit einem Jahr Laufzeit, mindestens 555 Euro mehr Lohn und 3000 Euro Inflationsprämie. Stein des Anstoßes bei der DB ist jedoch vor allem die Forderung, für alle Beschäftigten im Schichtdienst solle die Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden abgesenkt werden – bei vollem Lohnausgleich. Die DB lockt mit elf Prozent mehr Lohn und einer Inflationsprämie von bis zu 2850 Euro, aber gestreckt auf eine Laufzeit von 32 Monaten. Eine stufenweise Arbeitszeitsenkung für Schichtarbeitende sei auch möglich, aber ohne Lohnausgleich.

DB KLAGT GEGEN GDL – WEGEN „FAIR TRAIN“

Die GDL steht unter Zeitdruck. Denn die Deutsche Bahn ist inzwischen zur Gegenoffensive angetreten. Sie spricht der Gewerkschaft die „Tariffähigkeit“ ab – also die Berechtigung, überhaupt als Arbeitnehmer-Vertretung mit dem Arbeitgeber DB über Tarife zu verhandeln. Die Begründung: Im Juni 2023 gründeten GDL-Chef Weselsky und der gesamte GDL-Vorstand eine Genossenschaft mit dem Namen Fair Train. Das erklärte Ziel: Mit „Fair Train“ will Weselsky der Deutschen Bahn Lokführer*innen abwerben und als Leiharbeiter*innen wieder zur Verfügung stellen. Doch das würde die DB oder andere Bahnunternehmen dann mehr kosten. Denn „Fair Train“ schloss seinerseits bereits im Oktober 2023 einen Tarifvertrag mit der GDL ab.

Jetzt sagt DB-Personalvorstand Martin Seiler: „Wir müssen rechtssicher wissen, ob wir einen handlungsfähigen Tarifpartner haben. Schließlich befinden wir uns in einer laufenden Tarifrunde.“ Das Hessische Landesarbeitsgericht soll klären, ob das Vorgehen der GDL Interessenkonflikte hervorruft. Diese sieht die DB in einer personellen weitgehenden Identität der Führungsriegen von Fair Train und GDL: Die GDL trete „gleichzeitig als Arbeitgeber und als Gewerkschaft auf“, erklärte Bahn-Personalvorstand Seiler. Sie habe „quasi mit sich selbst einen Tarifvertrag verhandelt und geschlossen.“ Damit sei die sogenannte „Gegnerunabhängigkeit“ der Gewerkschaft nicht mehr gegeben. Tatsächlich dürfen nur GDL-Mitglieder Teil der Genossenschaft werden. Der frühere GDL-Geschäftsführer Thomas Schütze ist Vorstandsmitglied bei Fair Train. Ein Gerichtsverfahren kann sich über mehrere Jahre hinziehen, vielleicht bis zu einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts.

NETINERA AKZEPTIERT GDL-FORDERUNGEN

Wasser in den juristischen Wein goss Mitte Dezember 2023 das Eisenbahn-Unternehmen Netinera. Die deutsche Tochter der italienischen Staatsbahn unterzeichnete mit der GDL für ihre etwa 1.200 Triebfahrzeugführer*innen und 1.100 Zugbegleiter*innen einen Tarifvertrag. Anders als bislang die Deutsche Bahn akzeptierte Netinera: Ab 2028 herrscht in ihrem Unternehmen im Schichtdienst die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Pro Woche werden nur fünf Schichten gearbeitet, dann müssen zwei freie Tage folgen. Die Arbeitszeit wird bei Netinera also gesundheits- und familienfreundlicher.

Das macht die Arbeit bei dem Unternehmen attraktiver, und das wird auch dringend gebraucht. So erklärte das zu Netinera gehörende Unternehmen metronom am 05. Dezember 2023:

„Der metronom wird wegen Personalmangels bis Samstag, den 03. Februar 2024 weiter nur eine reduzierte Zahl an Zugfahrten anbieten können: Ab dem 10. Dezember tritt ein neuer Ersatzfahrplan in Kraft. Auch künftig werden unter anderem die sogenannten Verstärkerzüge in den Hauptverkehrszeiten entfallen. Hintergrund für die Fortsetzung des Ersatzfahrplans ist die weiterhin nicht ausreichende Verfügbarkeit an Triebfahrzeugführern im Unternehmen – trotz großer Anstrengungen, neues Personal zu rekrutieren.

Auch die Deutsche Bahn hat seit langem ein Personalproblem. Doch das Unternehmen ist viel größer als ihr regionaler Mitbewerber. Ob es sich deshalb einen vollen Lohnausgleich bei verkürzter Arbeitszeit leisten kann, bezweifeln viele Beobachter*innen. Martin Klaffke von der HTW riet im Rundfunk rbb: Die Bahn solle bei der Personalgewinnung nicht nur auf die ganz Jungen setzen, die schreckten Nachtschichten und Wochenenddienste im Moment noch ab. Für diese Generation liege die Betonung der Work-Life-Balance klar auf “Life”. Besser sei es zum Beispiel, Menschen anzusprechen, die in anderen Branchen unzufrieden seien, oder Frauen nach der Familienzeit als Mitarbeiterinnen zu gewinnen. Umschulung und Weiterbildung seien zukunftsträchtiger aus Sicht der Unternehmen. Ansonsten solle sie den Beschäftigten ein gutes Arbeitsklima und so guten Lohn wie nur möglich anbieten.

Der Fahrgastverband Pro Bahn forderte eine zügige Einigung zwischen der Deutschen Bahn und der GDL. Das sollte im Interesse beider Seiten liegen. Die DB mag hoffen, dass demnächst unter einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin des jetzigen GDL-Vorsitzenden konzilianter verhandelt wird. Und die GDL würde Zeit gewinnen, um ihre Genossenschaft „Fair Train“ juristisch besser als bisher abzusichern.

Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur

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