Auf der polnischen Webseite für Zugverbindungen https://portalpasazera.pl wird derzeit gewarnt: „Aufgrund der Modernisierung des Eisenbahnknotens Warschau ist die Anzahl der Züge auf dem Abschnitt Warszawa Zachodnia – Warszawa Wschodnia begrenzt.“ Das bedeutet konkret: Züge ab deutscher Grenze (Frankfurt/Oder) zum Zentralbahnhof Warszawa Centralna werden entweder in Kutno gebrochen, wo das Umsteigen die Fahrzeit um eine halbe Stunde verlängert. Oder die Züge enden in Warszawa Gdańska, von wo mit anderen Zügen nach Warszawa Zachodnia und dann weiter zum Zentralbahnhof zu fahren ist.
Bauarbeiten in und um Warschau …
Die Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn empfiehlt noch beschwerlichere Wege. Dort heißt es für den 22. April für den Eurocity EC41 Berlin Ostbahnhof – Warszawa Gdańska: Umsteigezeit 60 Minuten, weiter mit Bus/Straßenbahn nach Warszawa Wschodnia, von dort mit SKW99930 nach Warszawa Śródmieście, von dort mit Fußweg 204 Meter nach Warszawa Centralna. Wer würde sich eine solche Tortur mit Gepäck antun?
Bis zum 21. April ist der Eurocity Berlin-Warschau auf deutscher Seite komplett gestrichen. Die Infrastrukturverwaltung der Deutschen Bahn DB Netz spricht von Instandhaltungsarbeiten auf der Bahnstrecke. Den Angaben der Bahn zufolge wird am Korrosionsschutz an der Brücke über die Autobahn A10 gearbeitet, es werden Gleise verlegt und die Bahnübergänge in Hangelsberg und Fürstenwalde erneuert. Zudem gebe es vorbereitende Maßnahmen zur Bahnhofserweiterung in Berlin-Köpenick.
Normalerweise würde in einem solchen Fall der Fernverkehr nach Polen über den Grenzübergang Küstrin/Kostrzyn der historischen Ostbahn geleitet. Doch dort verzögert sich noch mindestens bis zum Mai der Neubau der Eisenbahnbrücke über die Oder – wie es heißt, wegen des unerwartet schlechten Baugrunds. Aus diesem Grund auch die Bauarbeiten zwischen Berlin und Frankfurt/Oder zu verschieben, kam für DB Netz offenbar nicht in Frage. Formell handelt es sich ja „nur“ um die Sanierung einer Regionalbahnstrecke, der RE 1, die eben zufällig auch nach Polen führt.
Theoretisch könnte ein Zug nach Polen auch von Berlin über Königs Wusterhausen geführt werden. Doch der Abschnitt Königs Wusterhausen – Frankfurt/Oder (RB 36) ist nicht elektrifiziert. Eine Grenzüberquerung weiter südlich wurde nicht umgesetzt. So müssen Polenreisende mehrere Wochen lang hoffen, in einem der Schienenersatz-Busse Berlin – Frankfurt/Oder einen Platz zu ergattern. Dadurch wird die Fahrt etwa 90 Minuten länger dauern als normal. Güterzüge werden somit ebenfalls mit deutlichen Verzögerungen rechnen müssen.
…Busse statt Züge zwischen Berlin und Frankfurt/Oder
Der Geschäftsführer der Bahngesellschaft ODEG, welche die RE1 bedient, beklagte im rbb-Fernsehen eine unzureichende Informationspolitik der DB-Infrastruktur: “Grundsätzlich ist der Informationsstand bei dieser Baumaßnahme tatsächlich schwierig”, sagte Roland Pauli. “Das liegt daran, dass wir bis zuletzt noch nicht die finalen Fahrpläne von der DB Netz bekommen haben.”
Äußerst verärgert zeigte sich die Initiative deutsch-polnischer Schienenpersonenverkehr (KolejDEPL). Zunächst sei noch eine Führung der Eurocity-Züge über Cottbus angekündigt gewesen. Doch jetzt soll es nur einen Ersatzverkehr mit Bussen geben. “Die Verkehrswende muss von der Straße auf die Schiene erfolgen. Nicht umgekehrt!”, kritisierte Anja Schmotz, Sprecherin der Initiative und stellvertretende Bundesvorsitzende des Fahrgastverbands PRO BAHN. “Nachdem die DB mit beständigen Schienenersatzverkehren auf der Route Berlin – Prag dem transeuropäischen Fernverkehr nach Tschechien bereits großen Schaden zugefügt hat, sind nun offenbar die Verbindungen nach Polen an der Reihe. Wenn ein Fahrgast in den Bus verfrachtet wird, dann wird er auch künftig prüfen, ob der direkte Fernbus auf der Autobahn nicht die schnellere und bessere Alternative zum ständigen Umsteigen mitsamt Gepäck ist.”
Bahnkundenverbände kritisieren verfehlte Politik
Ingo Koschenz, Mitglied der Initiative und Referent für Osteuropaverkehre des Fahrgastverbands PRO BAHN, hält es ebenfalls für untragbar, dass im internationalen Zugverkehr mit Ersatzbussen operiert werden soll: “Auch wenn Umleitungen über Cottbus heute wegen rückgebauter Streckenkapazitäten zu DB-Börsenwahnzeiten schwer zu organisieren seien, sollten zumindest die Züge Berlin – Kraków – Przemyśl durch die Lausitz fahren und nicht als Bus verkehren. Über Senftenberg-Hoyerswerda und dem 2018 sanierten Grenzübergang Horka – Węgliniec stünde eine elektrifizierte Ersatztrasse zur Verfügung. Diese wird trotz millionenschwerer Investitionen im Fernverkehr derzeit insgesamt nicht genutzt.“
Die genannten Eurocity-Züge stellen auch die Verbindung zwischen Berlin und der Ukraine her. Sie erfreuen sich daher einer regen Nachfrage. “Zudem könnten die Fahrzeuge des nur im Sommer verkehrenden ‚Kulturzugs‘ Berlin – Wrocław einem Ersatzverkehr für die Eurocitys auf der Schiene dienen”, meint Koschenz. “DB-Fernverkehr müsste sie nur von DBRegio anmieten. Das überfordert aber anscheinend den DB-Konzern.”
Eine wesentliche Ursache für die derzeitige Malaise sehen die Bahn-Enthusiasten in einer verfehlten Regierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Bei den Zügen Berlin – Warszawa und Berlin – Gdańsk räche sich, dass jahrelang auf allen Strecken in Richtung Polen nichts passiert sei. Nunmehr werde an allen Strecken gleichzeitig gebaut.
Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur