Serbien: Erst stürzte das Bahnhofs-Vordach, dann die Regierung

Serbien: Erst stürzte das Bahnhofs-Vordach, dann die Regierung

Serbien: Erst stürzte das Bahnhofs-Vordach, dann die Regierung

Der Hauptbahnhof von Novi Sad am 12.6.2023. Man sieht: Obwohl das Gebäude längst der Benutzung übergeben wurde, wird an der Front weiter – oder erneut? – gebaut. Man sieht im Vordergrund die Überdachung des Eingangs, die auf voller Länge am 1. November 2024 zu Boden stützte und unter sich 15 Menschen begrub. Foto: Hermann Schmidtendorf 
Am 1. November 2024 kam es im serbischen Novi Sad zu einer Katastrophe. Um 11:52 Uhr stürzte ein 35 Meter langes Betondach über dem Haupteingang des Hauptbahnhofs auf darunter befindliche Menschen. Es gab 15 Tote und mehrere Schwerverletzte. Die Bevölkerung protestierte. Am 5. November trat der Bau- und Verkehrsminister Goran Vesić vom Amt zurück. Am 28. Januar 2025 gab auch Regierungschef Miloš Vučević sein Amt auf. Jetzt stehen Neuwahlen von Regierung oder Parlament an.

Es war eine Tragödie mit Ansage. Kurz vor dem Zusammenbruch des Baldachin-Vordachs hatte die Geschichtswissenschaftlerin Ljiljana Dragosavljević Savin darauf verwiesen, dass das Bahnhofsgebäude am 31. Mai 1964 offiziell eröffnet worden war, erinnerte die Plattform „Informer“. Seitdem hätten sich weder Regierung noch Bahnverwaltung um den Zustand des Gebäudes gekümmert:

Das Restaurant und die Wartesäle waren nicht mehr in Betrieb, die Sauberkeit auf niedrigem Niveau. Die Uhr am Bahnhofsgebäude war seit Jahren kaputt.“

Bahnhof Novi Sad: Vor 60 Jahren gebaut, danach nie renoviert

 Damals, 1964, war der Bahnhof neu gebaut worden. Denn die Verlegung der Eisenbahnlinie aus Wohngebieten wie Liman in Richtung der Außenbezirke der Stadt, des Industriegebiets und der Hafenanlagen machte den Bau eines neuen Personenbahnhofs in Novi Sad notwendig. Der Direktor des Historischen Archivs der Stadt Petar Đurđev erinnert sich: „Das neue Gebäude des Personenbahnhofs wurde vom Architekten Imre Farkaš entworfen, Auftragnehmer war der Novi Sader Bauriese “Neimar”. Das Gebäude wurde in nur 15 Monaten errichtet. Der modern gestaltete Bahnhof wurde auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern und mit einer Fassadenlänge von über 150 Metern errichtet, größtenteils zweigeschossig mit Flachdach, mit Fassaden aus weißem Marmor, während die Halle zum Bahnhofsplatz und Oslobodjenja Boulevard vollständig verglast war.“ Der Bahnhof liegt parallel zu den bestehenden Gleisen auf einer Länge von 246 Metern.

Der Hauptbahnhof Novi Sad 1964 kurz nach der Fertigstellung. Schon damals wurde in seiner Umgebung ein Busbahnhof installiert. Markante Merkmale des Bahnhofs sind die Zacken auf dem Dach, die Glasfassade und die Überdachung des Eingangs, die jetzt zusammenbrach. An der Seite die große Uhr. Foto: Istorijski arhiv Grada

 

Schnell galt der Bahnhof von Novi Sad als einer der schönsten. Betont wurden seine funktionale architektonische Gestaltung, sein modernes Erscheinungsbild mit der Glasfassade und den markanten Zacken oben als Abschluss. Novi Sad ist die zweitgrößte Stadt Serbiens. Entsprechend stark frequentiert war der Hauptbahnhof der Stadt. „Das war eine außergewöhnliche bauliche und architektonische Leistung“, erklärt Stadtarchivar Đurđev. „Zumal die Arbeiten manuell in drei Schichten durchgeführt wurden, da die Arbeiter über vier Betonmischer, drei Säulenkräne mit einer Tragkraft von 500 Kilogramm und einen Kübelkran verfügten.“ Daher war die spätere Vernachlässigung der baulichen Überwachung und einer rechtzeitigen Renovierung des Gebäudes, so scheint es heute, sträflicher Leichtsinn.

2022 im Wahlkampf: Mit High Speed zum halb fertigen Bahnhof

Am 19. März 2022 erreichte ein erster Hochgeschwindigkeitszug mit Namen „Soko“ von der Hauptstadt Belgrad den Bahnhof Novi Sad. Es war Wahlkampf in Serbien. Mit an Bord des neuen Zugs auf der neuen Strecke waren damals der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Dabei erklärte Vučić: „Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie stolz ich bin. Wir haben diesen Bahnhof nach 60 Jahren renoviert.“ Es war dem Staatschef also bewusst, dass er sich in einem Bahnhofsgebäude befand, das nach so vielen Jahren eine grundlegende Untersuchung  seiner baulichen Stabilität und Substanz benötigt hätte.

Der Zugang zu den Gleisen durch einen Bahnhofstunnel erhielt einen Aufzug, es wurde eine Ambulanz eingerichtet und ein Spielzimmer für Kinder. Doch im April 2023 wurde der Bahnhof wieder teilweise geschlossen – wegen Umbauarbeiten.

12.6.2023: Der Zugang zu den Gleisen im Bahnhofstunnel ist schon wieder fast komplett gesperrt. Nur zum ersten vorderen Gleis für die Fahrt nach Belgrad ist der Zutritt offen. Foto: Hermann Schmidtendorf

Kannte Vučić überhaupt im Detail die Verträge, welche die staatliche Verwaltung der serbischen Bahn-Infrastruktur, die Aktiengesellschaft „Eisenbahninfrastruktur Serbiens“, mit dem chinesischen Konsortium aus China Railway International Ltd. und China Communications Construction Company Ltd. geschlossen hatte? Hielten sich die chinesischen Baufirmen an die juristischen Erfordernisse und die Vorgaben des serbischen Investors? Bestellte die serbische Infrastruktur-Gesellschaft die nötigen Arbeiten und Kontrollen?

Für die serbische Regierung war der Bau einer Hochgeschwindigkeitslinie vom ungarischen Grenzübergang Subotica/Kelebija über Novi Sad nach Belgrad ein Prestige-Objekt. Die Modernisierung des Bahnhofs Novi Sad gehörte dazu. Und für China, einen wesentlichen Kreditgeber, handelte es sich um die Verwirklichung eines Teilprojekts der Road and Belt Initiative, der Neuen Seidenstraße.

Vieles wird noch in der nächsten Zeit zu untersuchen sein. Doch klar scheint zu sein, dass als Unter-Auftragnehmer der chinesischen Baufirmen serbische Firmen engagiert wurden, die in vermuteter oder erwiesener enger Verbindung zur seit 2012 regierenden Fortschrittspartei SNS stehen. Die Verträge rund um das Eisenbahnprojekt wurden zunächst als geheim eingestuft. Später übergab die Regierung eine Reihe von Dokumenten an die Staatsanwaltschaft und veröffentlichte sie für die Allgemeinheit.

Erst geheim, jetzt veröffentlicht: ein Vertrag zwischen der Regierung der Republik Serbien und dem chinesischen Baukonsortium über den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke. Hier ein Teil des Titelblatts.

Dennoch blieben Fragen offen. Sanja Fric, Assistenzprofessorin an der Fakultät für Bauingenieurwesen, erklärte gegenüber dem Sender RTS: „In der Dokumentation sind 68 Zulassungen für Nachunternehmer aufgeführt, in der Tabelle sind 132 Nachunternehmer und Lieferanten aufgeführt.“ Jedes dieser Unternehmen müsste qualifizierende Dokumente einreichen. Gibt es sie, warum wurden sie nicht veröffentlicht?

Baufirmen am Bahnhof Novi Sad mit Nähe zur serbischen Regierung

Serbische Medien, z.B. die Plattform radar (https://radar.nova.rs/politika/novi-sad-koje-domace-firme-rekonstrukcija/), identifizierten unter anderem folgende Baufirmen mit erwiesener oder vermuteter Nähe zur Regierungspartei SNS:

STARTING. Eigentümer:  Ljiljana Tripković (70 Prozent), Nikola Trivić (30 Prozent). Auftragnehmer zahlreicher zumeist öffentlicher Infrastrukturprojekte, darunter der Bau einer neuen Brücke über den Fluss Zapadna Morava, zusammen mit der Lotex-Gruppe um Tanja Popović, eine enge Vertraute des ausgeschiedenen Bauministers Goran Vesić; Bau einer Unterführung unter der Eisenbahn in Neu-Belgrad; Erstellung mehrerer Gebäude im Projekt „Belgrade Waterfront“ an Stelle des früheren Belgrader Hauptbahnhofs (BW Terraces, BW Sole, BW Scala und BW Libera), die jeweils über mehrere zehntausend Quadratmeter Wohnfläche verfügen.

ANTIKOR. Einer der drei Miteigentümer ist Mladen Grujić (über sein Unternehmen Treća petoletka, an dem er einen Anteil von 75 Prozent besitzt). Grujić ist SNS-Abgeordneter im serbischen Parlament. Zu seinem Geschäftsimperium gehören das Autohaus Kompresor, die Drogeriemärkte Lilly, AAA-1 Rent, Beoturs und mehrere Fonds. Der Umsatz von Antikor verdreifachte sich zwischen 2021 und 2023, während der Nettogewinn fast um das 11-fache stieg.

PROJEKTBÜRO UTIBER (Ungarn). Leitung der Bauüberwachung.  Bekam vom serbischen Staat auch die Baukontrolle anderer Großprojekte in Serbien wie des Baus des Nationalstadions in Surčin.

Formal ist die Auswahl der Subunternehmer nicht zu beanstanden. Schließlich wurden sie durch den chinesischen Generalunternehmer bestellt und nicht direkt durch die serbische Regierung. Eine transparente öffentliche Erklärung des Auswahlverfahrens war nicht vorgesehen. Doch ist glaubhaft von einem Zufall auszugehen, wenn man eine Regierungsnähe bei mehreren beteiligten Firmen feststellt? So war Medienberichten zufolge der Vater des Generalsekretärs der serbischen Regierung Vojislav Nedić in der Vergangenheit als Anwalt für eine andere Firma der Starting-Haupteigentümerin Ljiljana Tripković tätig. Die chinesischen Firmen wollen weiter Geschäfte mit dem serbischen Staat machen. Wäre es erstaunlich, wenn sie auch ohne formalen Zwang solche Firmen in das Projekt holten, die das Wohlwollen der Regierungspartei genießen?

Höhere Kosten durch Bauverzögerung, Wasserschaden, Pfusch am Bau

Das ist kein Beleg für Korruption. Doch festzustellen ist, dass sich die Realisierung des Projekts durch eine wenig professionell scheinende Ausführung verzögerte. Das steigerte die Kosten. Es gab eklatanten Pfusch am Bau. Dafür war auch das Unternehmen Antikor verantwortlich. Es war am Bau der Unterführung beteiligt, bei der man gleich nach der Fertigstellung feststellte, dass sie undicht war.

Blick vom Gleistunnel am 12.6.2023 in Richtung Ausgang: ein provisorisches Papierschild, eine komplett leere Eingangshalle mit nur einem geöffneten Fahrkartenschalter und einigen Automaten. Foto: Hermann Schmidtendorf

Und es gab mehr Mängel. Darüber berichtete der Mediendienst 021.rs bereits Monate vor der Katastrophe, am 1. Juni 2023, unter der Überschrift: „Neue Probleme am renovierten Bahnhof, beschädigte Fassade“.

Dort hieß es: „Ein Einwohner von Novi Sad, der am Montag mit einem Schnellzug nach Belgrad fuhr, filmte auf dem Bahnsteig Arbeiter, die heruntergefallene Fassadenteile von den Wänden des Bahnhofs räumten. Wie er in einer Mitteilung an unsere Redaktion sagt, wundert er sich darüber, dass der umgebaute Bahnhof bereits auf eine Art und Weise „gekrönt“ werde, die eine Gefahr für die Sicherheit der Fahrgäste darstellen könne.“

Auf den Fotos des Bürgers war das Teil zu sehen, das an der Fassade fehlte. Der Mediendienst kommentierte damals: „Ob die Behörden dieses Problem im Interesse der Sicherheit der Fahrgäste so schnell wie möglich beheben werden, ist uns unklar, da die „Eisenbahninfrastruktur Serbiens“ auf die Anfragen von 021.rs bislang nicht geantwortet hat. Sechs Monate nach dem deklarativen Abschluss der Arbeiten kam es im Bahnhof zu den ersten Problemen nach der „Umgestaltung“. Damals war ein großer Teil der Decke undicht, einige Räume, etwa das Kinderwartezimmer, waren gesperrt.“

Die in Bau befindliche Hochgeschwindigkeitsstrecke von Novi Sad zur Grenze mit Ungarn in Subotica. Der Streckenabschnitt in den Süden nach Belgrad wurde fertig gestellt.

VDEI-Delegation in Novi Sad war Zeuge der Baumängel

Am 12. Juni 2023 war eine Studiengruppe des Verbands deutscher Eisenbahn-Ingenieure VDEI in Novi Sad. Die Deutschen sahen mit eigenen Augen, dass der angeblich modernisierte Bahnhof noch immer beziehungsweise schon wieder eine Baustelle war. Die linke Seite der Glasfassade an der Außenseite war erneut abgenommen. Die linke Hälfte des Eingangs war gesperrt. Die Eingangshalle war erneut spartanisch leer ohne alle Sitzflächen. Nebenräume und auch der Zutritt zu den Gleisen außer dem einen Hauptgleis nach Belgrad waren gesperrt.         

Der Mediendienst 021.rs äußerte weitere grundlegende Zweifel an der Bauqualität: „Der Umbau wurde in den Jahren 2023 und 2024 erneut durchgeführt und am 5. Juli 2024 offiziell wieder eröffnet. Neuneinhalb Monate später sind die Arbeiten noch immer im Gange, und es wird praktisch alles ausgetauscht – die Decke, der Boden und die Fassaden-Schreinereiarbeiten.“ Der Mediendienst zitierte den Journalisten Predrag Ćurčija, der beruflich häufig den Bahnhof von Novi Sad nutzt: „Es ist völlig unlogisch, wenn ein Bahnhof eröffnet wird, neue Möbel hineingestellt werden und alles poliert wird, ein gläserner Aufzug gebaut wird und dann nach ein paar Monaten alles geschlossen wird, Stockwerke angehoben werden, einige Strukturen gebaut werden. Für mich sieht das alles wie eine große Geldwäsche-Operation aus.“

Stabilitätsprüfung und Sanierung der Alt-Substanz waren nicht vorgesehen

Das alles, was an massiven Baumängeln gemeldet wurde, betraf wohlgemerkt neue Arbeiten bei der Modernisierung des Bahnhofsgebäudes.

DENN EINE ÜBERPRÜFUNG DER STABILITÄT DER ALT-SUBSTANZ UND FALLS NÖTIG EINE ERNEUERUNG MARODER ALT-TEILE WAREN OFFENBAR ZUNÄCHST ÜBERHAUPT NICHT VORGESEHEN.

Auch das kam erst heraus, nachdem das alte Bahnhofs-Vordach mit tödlicher Wirkung zusammengebrochen war.

Bestellt worden waren Modernisierungsarbeiten am Bahnhofsgebäude in Novi Sad im Rahmen der Überholung und Erweiterung des zweiten Gleises der Eisenbahnstrecke Stara Pazova – Subotica. Der Bahnhof verfügt über vier Durchgangsgleise, zwei Nahverkehrsgleise und fünf Gleise für wartende Züge. Vier Durchgangsgleise (Gleise 1, 2, 3 und 4) sowie zwei Stichgleise (Gleise 12 und 13) dienen der Aufnahme und Abfertigung von Fahrgästen. Das Investitionsprojekt betraf den Bau einer schnellen, 342 Kilometer langen Eisenbahnstrecke zwischen den Hauptstädten Belgrad (Serbien) und Budapest (Ungarn). Sie führt über Novi Sad und soll bis Ende 2025 fertig sein. Fertiggestellt und eingeweiht wurde die 75 Kilometer lange Teilstrecke Novi Sad – Belgrad mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Die Bahnsteige in Novi Sad erhielten neue, futuristisch anmutende Überdachungen, deren Zacken die Zackenstruktur des Hauptdachs wiederholten und dadurch eine interessante Einheit bildeten.  

12.6.2023: Blick vom Bahnsteig nach Belgrad zu den anderen Bahnsteigen, die damals nicht genutzt werden konnten. Ins Auge fällt die Zackenstruktur der neuen Überdachungen. Foto: Hermann Schmidtendorf

Den Kardinalfehler der staatlichen Investoren erläuterten Sanja Fric, Assistenzprofessorin an der Fakultät für Bauingenieurwesen, und Bauingenieur Zoran Đorđević im Programm „Oko“ des Senders RTS. Offenbar hatten die Planer des Modernisierungs-Projekts keinen Einblick in das ursprüngliche Projekt des Architekten Imre Farkas aus den 1960er Jahren gehabt und dieses Einblick auch nicht gesucht. Bauingenieur Đorđević erklärte, warum der ursprüngliche Entwurf für das Verständnis der Struktur des Baldachins wichtig war.

Zusammengeknüllte Zement-Säcke statt Beton, Korrosion an den Stangen

Das zusammengestürzte Vordach war mit einem Vorspannsystem gebaut worden. Von den senkrechten Fassadenträgern gingen Betonträger aus, deren Lücken später durch Beton- beziehungsweise Marmorplatten ausgefüllt wurden. Dieses erhebliche Gewicht wurde durch 18 Spann-Stangen mit jeweils sechs Drähten gehalten, welche oben an der Zackenstruktur des Dachs befestigt waren.

Sowohl die Betonträger als auch die schwarzen Spann-Stangen rissen am 1. November 2024 in wenigen Sekunden in ihrer Gesamtheit aus den Verankerungen, fielen mit einem explosionsartigen Knall zu Boden und begruben unter sich die dort befindlichen Menschen.

Ingenieur Đorđević betonte im Sender RTS: „Die mangelnde Instandhaltung der Struktur über 60 Jahre hinweg ist ein Hauptfaktor für diesen Unfall.“ Die ebenfalls mangelhaften Arbeiten an den anderen Teilen des Bahnhofsgebäudes hätten mit dem Zusammenbruch des Vordachs nichts zu tun. Das Dach wäre auch ganz ohne Bauarbeiten zusammengebrochen. Deshalb sei es „unverantwortlich“ gewesen, im Rahmen der Bauarbeiten nicht sofort eine grundlegende Untersuchung und Sanierung der Altstruktur zu bestellen.

Ein historisches Foto von den Bauarbeiten 1963 (rechts, Quelle: Istorijski arhiv Grada) zeigt die Betonträger und die Metallstreben, die das Vordach über dem Eingang zum Bahnhofsgebäude hielten.

Ein Foto vom Tag des Einsturzes (links, Mishyac CC0 1.0/Wikipedia) zeigt:

Die Träger und die Streben wurden komplett aus der Verankerung gerissen.    

„Es gab einen kleinen, unsichtbaren Teil der Struktur, der jahrelang ohne ausreichende Wartung der Korrosion ausgesetzt war. Dieser Teil wurde schließlich zu einem kritischen Thema“, sagte Đorđević.

Der Geologe Zoran Đajić, der bis März 2023 als Berater für das CIP Transport Institute an der Rekonstruktion des Bahnhofsgebäudes in Novi Sad gearbeitet hatte, erklärte gegenüber dem Fernsehsender N1 weitere Details.

Die Plattform mojnovisad.com berichtete am 2. November 2024:

„In der ersten Phase wurde die Keramik an der Decke repariert und lediglich das Vordach bemalt. In der zweiten Phase, während der Arbeiten an der Fassade des Gebäudes und der Arbeiten zur Rekonstruktion der Steinverkleidung, habe ich im März 2023 einen Bericht an die Auftragnehmer geschickt. Jeder hat diese Berichte vom Ministerium und weiter unten erhalten.

 Darin forderte ich, die Marmorplatten von der Fassade des Gebäudes zu entfernen und zu prüfen, wie der Untergrund unter diesen Marmorplatten beschaffen ist, den Untergrund zu reparieren und neue Marmorplatten anzubringen, was ansonsten im Projekt vorgesehen war. Man müsse die Blenden an der Vorderseite der Halterung abnehmen und sehen, was sich dahinter befinde.“

Die Regierung war informiert, doch niemand reagierte

Doch es antwortete niemand. Auf einem der Fotos, die Đajić in seinem Bericht veröffentlichte, konnte man sehen, dass sich hinter einer der Platten ein Abschnitt aus Beton befand, in welchem ein Teil des Betons fehle. An Stelle des Betons seien “Zementsäcke zerknüllt worden, damit man weniger Beton hineingeben musste.”

Also ein Pfusch am Bau schon vor 60 Jahren!

Außerdem seien die Metallstreben korrodiert gewesen. Wenn diese Platten damals entfernt worden wären, hätte man wahrscheinlich bemerkt, dass die Basis nicht in Ordnung war, und man hätte vielleicht bemerkt, dass die Metallstreben korrodiert waren. Đajić: „Tatsache ist, dass dieser Teil der Arbeiten nicht gemacht wurde und der Auftragnehmer sich dafür entschieden hat, nur die Platten neu anzustreichen, die ersetzt werden mussten.“

Schlagzeilen in den serbischen Medien: Proteste, Blockaden und Ingenieur Đajić. Hier ein Ausschnitt der Titelseite des „Srpski Telegraf“ vom 3. Februar 2025

Regierungsnahe Medien bezeichneten Đajić als unglaubwürdig, weil er selber mehrfach Firmen geleitet habe, die insolvent gingen und dadurch Gläubigern Schaden zufügten. Doch zu den Vorwürfen als solchen gab es keine ausführlichen Erklärungen. In der Folge entwickelte sich, von der Universität in Novi Sad ausgehend, ein immer größerer gesellschaftlicher Protest mit regelmäßigen Demonstrationen auf den Straßen gegen die Regierung. Es gab mehrere Verhaftungen möglicher Schuldiger für die Tragödie. Die Chefin der Staatsbahn trat zurück, zuletzt auch der Regierungschef. Und in wenigen Tagen will Präsident Vučić seine Entscheidung mitteilen, ob das Parlament eine neue Regierung wählt oder es Neuwahlen zum Parlament gibt. Angesichts der fortlaufenden Proteste der Bevölkerung erscheint letzteres wahrscheinlich.

Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur

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