Eurostar: 700 Fahrgäste saßen sieben Stunden im kalten Zug

Eurostar: 700 Fahrgäste saßen sieben Stunden im kalten Zug

Eurostar: 700 Fahrgäste saßen sieben Stunden im kalten Zug

Kein Strom, keine Hilfe: ein Eurostar am Eingang des Eurotunnels. Foto Getlink
Was wünscht sich wohl niemand am bisher kältesten Tag des Jahres? Ein unfreiwilliges Überlebenstraining an einem kalten dunklen Ort. Genau das passierte aber am 30. November 2023 etwa 700 Reisenden an Bord eines Eurostar-Zuges. Über sieben Stunden lang waren sie im Zug eingesperrt – ohne Erklärungen, ohne Strom, ohne Lebensmittel, und ohne funktionierende Toiletten.

Um 8:16 Uhr Londoner Zeit hatte der Zug den Londoner Bahnhof St. Pancras International Richtung Amsterdam verlassen. Alles war wie immer. Doch kurz vor der englischen Einfahrt zum Kanaltunnel kam der Zug abrupt zum Stehen. Ein Oberleitungskabel riss und fiel auf den Zug. Damit fehlte dem Zug nicht nur die Energie für die Weiterfahrt. Auch alle anderen Funktionen waren unterbrochen. Es gab keine Ansagen im Zug, keine Beleuchtung, keinen Zugang zu Lebensmitteln und Getränken im Speisewagen und – keinen Zugang zu den Toiletten.

Was war passiert? Warum ging niemand vom Bordpersonal durch die Abteile, um die Reisenden zu informieren? Warum wurden keine Getränke und Speisen verteilt? Wie lange würde die Zwangspause dauern? So manche der Reisenden teilten, solange die Akkus ihrer Smartphones mitmachten, über social media und etablierte Presseorgane ihre Qualen mit der Außenwelt. So war der Zwangshalt bereits Thema bei BBC und dem London Evening Standard, bevor der Zugbetreiber sich offiziell geäußert hatte. Dieser bedauerte den Vorfall und erklärte, die „komplexe Situation“ habe die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen erfordert, bevor versucht werde, den Zug erneut in Bewegung zu setzen. Alle betroffenen Reisenden würden angemessen entschädigt.

Es ist verständlich, dass bei einem Riss der Oberleitung zunächst der betroffene Stromabschnitt abgeschaltet und kurzgeschlossen werden muss. Doch musste das sieben Stunden dauern? Gab es wirklich keine Möglichkeit, zumindest über persönliche Mobiltelefone die Bordcrew zu informieren, so dass diese die Reisenden beruhigen konnte? Wieso wurden keine Getränke kostenlos ausgegeben? Es werden doch nicht alle Schränke im Bordrestaurant elektrisch gesichert sein? Für die Zukunft wird auch zu überlegen sein, zumindest für den Betrieb einer Notbeleuchtung, für die Bedienung der Türen und für die WC-Spülung Batterien im Zug einzubauen. Diese Batterien sollten über eine gewisse Zeit solche grundlegenden Funktionen aufrechterhalten können.

Kein rot, kein Thalys mehr: Seit Oktober 2023 firmieren auch diese Züge (links im Bild) als Eurostar. Foto Eurostar

Betreiber der Eurostar-Züge ist die im Mai 2022 neu gegründete Holdinggesellschaft „Eurostar Group“. Sie hält 100 Prozent der Anteile an Eurostar International Limited und der THI Factory SA, die den Hochgeschwindigkeitszug Thalys betreibt. Beteiligt sind die SNCF, die Caisse de dépôt et placement du Quebec CDPQ, die NMBS/SNCB und Federated Hermes Infrastructure. Seit Anfang Oktober 2023 treten die Züge beider Unternehmen einheitlich unter der Marke Eurostar auf.

Der Betreiber war in letzter Zeit kritisiert worden, weil er Haltestellen in Ebbsfleet und Ashford in der Grafschaft Kent auf unbestimmte Zeit aufgegeben hatte. So sollten aus diesem Vorfall schnell Vorschläge für Verbesserungen erarbeitet werden, um einem Imageverlust vorzubeugen. Das zumal, da die Züge nach Amsterdam ab Juni 2024 für sechs Monate ausgesetzt werden sollen, weil dann eine Modernisierung des Bahnhofs Amsterdam Centraal geplant ist. Und auch geplante konkurrierende Züge niederländischer und spanischer Betreiber könnte Schwächen des bisherigen Monopolbetreibers nutzen, um ihre eigenen Angebote populär zu machen.

Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur

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